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Ray Federman im Exklusiv-Interview

rayman-archivDer Charmeur, Autor, Literaturprofessor, ex-Fallschirmjäger
über das Schwingen des Golfschlägers,
seinen Freund Samuel Beckett und –
das Leben mit ART|DE FAKT.

 


 

Volker Wilde: Ray, erinnerst Du Dich an das erste Mal, als Du von einer Band namens Art|De Faktgehört hast?

Ray Federman: Das erste Mal traf ich Urban und Art|De Fakt 1993 in Aachen, als ich im dortigen Museum eine Lesung abhielt. Zufälligerweise war es mein Geburtstag, der 15. Mai. Und der befreundete Professor, der die Lesung organisiert hatte, erzählte mir, dass nach mir eine Jazz-Band spielen würde.
Als ich Urban eines meiner Gedichte singen hörte, ließ ich mir erstaunt zuflüstern, dass Art|De Fakt Musik basierend auf meinen Texten komponiert hatten.
Ich blieb in Kontakt mit Urban und ein Jahr später schlug er vor, gemeinsam auf Deutschland-Tournee zu gehen. Ich schickte ihm neue Texte – und das war der Start.

Volker Wilde: Welche Herausforderung kam mit dem Beginn Deiner Zusammenarbeit mit Art|De Fakt auf Dich zu?

Ray Federman: Eine Herausforderung war es nicht wirklich. Aber ich musste mich schon an den Musikstil, den Art|De Fakt pflegt, gewöhnen.
Ich bin ein großer Jazzfan, habe sogar mal als professioneller Saxophonist gearbeitet. Ich war nicht besonders gut, aber ich denke, ich verstehe den Jazz. Dennoch: Art|De Fakt spielen mehr als bloßen traditionellen Jazz!
Nein, die wirkliche Herausforderung war, einen Ort und die Zeit zu finden, gemeinsam zu proben, um meine Worte synchron zur Musik zu bringen.

Volker Wilde: Da Du nun mal in San Diego, Kalifornien, lebst, Art|De Fakt aber in Aachen zuhause ist, wie ging die praktische Arbeit am aktuellen Album „Surfiction Jazz No2“ vor sich?

Ray Federman: Ich schickte Urban die Texte. Immer sind es neue. Nach unserer ersten Tour merkte ich, dass die Texte nicht immer bedeutungsvoll zu sein haben. Vielmehr zählte der Sound, der Rhythmus der Wörter.
Also schrieb ich, was man Sound Poetry nennt. Auf „Surfiction Jazz No1“ sind zwei Gedichte zu hören: „The Dada Poem“ und „The Potato that became a Tomato“.
Ich finde, auf „Surfiction Jazz No2“ sind meine Texte noch mehr in die Musik integriert. Ich fühle beim Hören, wie sehr die Musik den Geist meiner Texte einfängt. Der Grund? Zu den letzten beiden Tourneen nahmen wir alle uns wesentlich mehr Zeit zum Proben.
Und so haben wir Raum in vielen Tracks für mich geschaffen, um mit Worten zu improvisieren, wie mit einem Instrument, während die anderen Musiker mich begleiten. Oder sogar interagieren.

Volker Wilde: Musik zu Texten kann deren Bedeutung erweitern, aber sie manchmal auch einengen. Hat Dich das als Lyriker bei diesem Projekt nie beunruhigt?

Ray Federman: Die Bedeutung meiner Texte kümmert mich nicht, wenn ich mit Art|De Fakt auf der Bühne stehe. Mich interessiert dann zu sehen, zu hören, wie meine Worte Teil der Musik werden.
Nur wenn ich ein Wort-Solo, ohne Musik, mache, bin ich daran interessiert, dass das Publikum die Bedeutungen erfasst. Und ich weiß, dass es klappt, wenn ich mir die Betroffenheit und das Lachen der Leute in Erinnerung rufe.

Volker Wilde: Kein Zweifel, Art|De Fakt spielen teils sehr komplexe Musik. Wünschst Du Dir die Musik zu Deinen Texten manchmal einfacher?

Ray Federman: Nein! Je komplexer, desto faszinierender ist es für mich. Und ich bin gezwungen, selbst komplexe Texte zu schreiben. Mit komplex meine ich hier die Form, die Struktur. Aber in jüngerer Zeit werden viele Tracks kürzer, so dass es nicht, wie ganz zu Anfang, viel Musik und nur ein paar Wörter sind. Das gefällt mir natürlich besser.

Volker Wilde: Seit mehr als sieben Jahren arbeitest Du mit Art|De Fakt. Hat sich Dein Schreiben verändert?

Ray Federman: Ich denke nicht, dass diese spezielle Erfahrung irgendetwas bei mir geändert hat. Denn mein Schreiben habe ich stets als eine Form von Jazz betrachtet. In der Tat: Viele Literaturkritiker haben meine Texte mit Saxophon-Solos verglichen. Da ist immer ein gewaltiges Element namens Improvisation anwesend, während ich schreibe.
Und ich habe in den letzten zehn Jahren das gemacht, was ich immer gemacht habe. Ich experimentierte mit Erzähltexten. Ich versuche, die Innovationen der 1960er und 1970er Jahre fortzuführen. Und das vermehrt mit dem direkten, dem oralen Erzählen. Und dabei modelliere ich stetig an meiner Syntax herum.
Art|De Fakt, da ist doch eine Sache! Die haben mich zu kürzeren Texten getrieben und zu vielen, vielen Gedichten (lacht).

Volker Wilde: In den USA hat mit Hal Sirowitz, Pamela Sneed, Tony Medina und Paul Beatty eine Spoken-word-Generation den Dunst der Beatniks aufgelöst. Wie reihst Du Dich da ein?

Ray Federman: Ich fühle mich keiner Bewegung zugehörig. In der Beatnik-Periode begann ich zu schreiben und daher denke ich, stecken da einige Elemente der Beatniks in meiner Arbeit.
Aber da ich als französisches Kind in einer anderen kulturellen Umgebung als der nordamerikanischen großgeworden bin, blieb ich eine Ausnahme. Eine alleinstehende Figur der amerikanischen Literatur.
Dennoch trage ich das aufgedrückte Label „postmoderner Autor“.
Ich fühlte gewisse Affinitäten in den 1960er Jahren zu den „concrete poets“, weil sie wie ich typografische Exzentrizitäten in Romanen und Gedichten einsetzten. Aber keinerlei Verbindung sehe ich zu den „sound poets“ oder Rappern.
Die einzige Affinität, die ich gelten lasse, ist die zum Jazz, genauer: zum Bebop, der mir die wunderbarsten Momente in meinem Leben bescherte.

Volker Wilde: Du hast in Deinem Leben erreicht, was viele niemals schaffen werden: Du bist Literatur-Professor, ein sehr bekannter Avantgarde-Literat der USA, dazu ein Mensch, der auf der Bühne vor Sympathie und Charme nur so strotzt. Du bist jetzt 71 Jahre alt. Welche Ziele hast Du noch nicht erreicht?

Ray Federman: Erstens. Ich bin mittlerweile ein emeritierter Professor der State University of New York. Zweitens. Ich bin mir nicht sicher, ob ich so sehr bekannt bin. Drittens. Das mit dem Charme müssen andere entscheiden (lacht).
Was mir zu tun bleibt, ist die ultimative Herausforderung: Das Unmögliche zu schreiben. Dieser Versuch macht nicht reich, aber ich werde mich am Ende nicht ausverkauft haben.

Volker Wilde: Hat die Tatsache, ein Freund von Samuel Beckett gewesen zu sein, in Deinem Leben etwas verändert?

Ray Federman: Die Erfahrungen, die ich als Überlebender des Holocaust machte – meine Mutter rettete mich in einem Wandschrank vor unserer Wohnung vor der Deportation in ein KZ, in dem meine Schwester und meine Eltern umkamen – prägten mich emotional.
Die Begegnung mit Samuel Beckett prägte mich intellektuell. Ein Beispiel:
An einem Tag im Jahre 1963 aß ich mit Samuel in Paris zu Mittag. Ich sagte zu ihm, dass ich an einem Roman arbeite. Und er erwiderte: „Ray, wenn Du schreibst, um Geld zu machen, dann tu was anderes.“
Nach einer Pause, eine Stille, die nur Beckett angenehm machen konnte, sagte er: „Und mach niemals Kompromisse. Glück besteht darin, zu tun, was Du tun willst und niemals Kompromisse zu schließen.“
Der Schlüssel zum Glück ist bis heute für mich das Schreiben und – das Schwingen des Golfschlägers (lacht).

Volker Wilde: Was hast Du heute gemacht?

Ray Federman: (lacht) Ich habe gefrühstückt, ging dann ins Badezimmer, rief einen Freund an, arbeitete an meinem neuen Roman „IN SEARCH OF MONA — A SPONTANEOUS LOVE STORY INVENTED ON THE SPOT“ und beantworte jetzt Deine Fragen.

Volker Wilde: Vielen Dank für das Gespräch.

Biographie und Texte Ray Federmans:
www.federman.com
„Ray Federman, seine spartanische Homepage mit veröffentlichten und unveröffentlichten Texten“